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13 Januar

01.01.13  


So beginnt das Jahr 2013 bei mir. Zwei Stunden später fliegen Wildgänse in mehreren Formationen nach Süden. Danach regnet es. Radfahren heute ist nicht drin.

Von Mai bis Dezember bin ich mit diesem Rad 718 Kilometer gefahren. Dazu kommen nochmal ca. 200 km mit meinem Klapprad in Berlin und vielleicht 100-150 Kilometer mit meinem alten Rad von Januar bis April auf dem Bauernhof. Also zusammen mit Sicherheit 1000 Kilometer.
Meine Pläne für 2013: im März werde ich hier auf dem Bauernhof ein neues Drehbuch schreiben. Mit Sicherheit gibt es da keine Szenen in Ägypten. Eher spielt alles in Berlin. Auch keine Szenen in Mecklenburg-Vorpommern oder in der Uckermark, damit die Hotelkosten wegfallen.
Am 14. Januar erscheinen "DAS ROTE ZIMMER" und "INS BLAUE" bei Zweitausendeins auf DVD.
Am 24. Januar veranstaltet das Max Ophüls-Festival einen Abend für Vadim Glowna. Da werde ich hinfahren und "INS BLAUE" zeigen.
Wenn der ägyptische Präsident Mursi am 30. Januar nach Berlin kommt, werde ich zum ersten Mal in meinem Leben auf eine Demo gehen.
Im Mai fliege ich nach Kairo - falls sich die Sicherheitslage dort wieder beruhigt hat. Einen neuen Film werde ich in diesem Jahr nicht drehen. Es sei denn, ich gewinne im Lotto oder ein privater Geldgeber ist der Meinung, dass ich unbedingt noch in diesem Jahr einen Film drehen müsse. Für Crowdfunding eignen sich meine Filme nicht.
Heute morgen habe ich zum ersten Mal ausgerechnet, wieviel eine Zigarette kostet: 25 Cent und überlegt, ob der kurze Genuss das wert ist.

02.01.13   Ein unglaublich böser, ironischer Text von Sandmonkey (LINK) über die Muslimbrüder, Mursi und die Wirtschaftskrise in Ägypten. Warum übersetzt sowas keine deutsche Zeitung! Bevor Mursi nach Deutschland kommt.
Deutsche Zeitungen müssen doch keine Angst davor haben, dass die ägyptische Staatsanwaltschaft (LINK) das macht, was einer ägyptischen Zeitung und Bassem Youssef jetzt droht.
03.01.13  
Es sieht nicht gut aus für den ägyptischen Präsidenten, wenn jetzt auch Alkohol, Zigaretten und sogar Bauchtanz verboten werden sollen.

So grau und trübe wie seit Neujahr war es hier schon lange nicht mehr. Zumindest kommt mir das so vor.
04.01.13   Heute ist bei mir mal wieder Jauche-Abfahrtag. Auf dem Jauchefass steht: "Annaburger - bevor die Grube überläuft."

Während ich immer wieder auf den Fahrer warten muss, füttere ich die Vögel und mache diese beiden Fotos.

Eine der beiden Glyzinien ist von diesem Pilz befallen. Wird sie daran sterben?

Eine Magnolienknospe. Im April wird sie blühen.

Mit dem Fahrrad zum Supermarkt nach Dahme. Das Kino dort hat aufgegeben. Der letzte Film, der gespielt wurde, war "Der Hobbitt". Das ist sehr, sehr traurig. "TIGERSTREIFENBABY WARTET AUF TARZAN" war in diesem Kino zweimal ausverkauft.
05.01.13  
In Berlin erwartet mich wieder die Baustelle, die meine Wohnung seit über einem Jahr eingeschlossen hat. Heute allerdings ohne den Lärm der Bauarbeiter.
06.01.13  

Meine Freundin und ich lassen uns vom schlechten Wetter nicht abhalten, Fahrrad zu fahren. Ca. 10 km auf dem Tempelhofer Flugplatz, der sich ständig verändert.





Auf dem Bauernhof war meine Freundin immer weit voraus und hat auf mich gewartet. Heute ist es umgekehrt. Sie sagt: Ich hab' zu viel Kuchen gegessen.

Die Bewohner der neuen Häuser in der Schwiebusser Straße werden, wie man sieht, keine ungetrübte Freude an ihren Wohnungen haben.

07.01.13   Gestern Abend schaue ich mir mit meiner Freundin Hong Sang-soos "In Another Country" mit Isabelle Huppert an. Es macht so viel Spaß wie lange nicht mehr. Hong betreibt ein ein unglaublich virtuoses Spiel mit Formen und Motiven - und mittendrin ein französischer Filmstar, der entspannt dabei mitmacht und oft aussieht wie ein junges Mädchen, das die erste Liebe erlebt und nicht weiß, wie das Alles enden wird. Wie im richtigen Leben.
Den ganzen Tag verbringe ich in Tegel, einem Stadtteil, wo ich gefühlsmäßig noch nie vorher war. Auf von meiner Freundin vorgegebenen Spuren.







Eine ausgehöhlte Halle der Borsig-Werke, die auf eine neue Zukunft wartet. So wie ich auch.
08.01.13   Jean-Marie Straub wird heute 80 Jahre alt. Viennale und Stadtkino (LINK) zeigen in Wien 4 seiner Filme.
Gudrun Max und Karlheinz Oplustil besuchen mich und holen sich eine DVD von Hong Sang-soo's "In Another Country" von mir. Wir sprechen über die Situation in Ägypten und über Sandmonkey. Kaum sind sie weg, finde ich den neuesten Sandmonkey-Text (LINK), der ein Aufruf ist an alle Ägypter, die wegen der Muslimbrüder-Herrschaft das Land schon verlassen haben oder das Land verlassen werden, wieviel das Überleben in manchen Ländern kostet, und wie sie sich als künftige ägyptische Diaspora verhalten sollen, damit Ägypten wieder eine Zukunft hat.
09.01.13  
Dieses Fahrrad hat irgendein ehemaliger Mitarbeiter in meinem Keller abgestellt und mir nichts davon gesagt. Der Schlüssel zum Kellerabteil ist auch verschwunden. Mein Sohn Nicolai hat die Kette, mit der es verschlossen war, mit einer Metallsäge aufgesägt. Das Fahrrad selbst ist in einem miserablen Zustand. Aber mir gefällt der Abstand zwischen Sattel und Lenkstange, deshalb lasse ich es jetzt reparieren, und betrachte es als mein Eigentum.

Meine Freundin und ich laufen durch die Mohrenstraße auf dem Weg zum Schweinebraten im Augustiner.
Und ich sehe zum erstenmal das Justizministerium.

Das deutsche Grundgesetz ist dort auf einer Tafel auf der Außenwand aufgehängt. Meine Freundin fragt, wieviele Artikel es hat. Ich sage 74, denn auf einer zweiten Tafel ist dieser Artikel zu sehen. Sie sagt unsere Verfassung ist "besser". Sie hat 234 Artikel. Jetzt schaue ich im Internet nach und sehe, dass das Grundgesetz 146 Artikel hat. Und ich sehe, dass auch das deutsche Grundgesetz mit "Verantwortung vor Gott und den Menschen" eine religiöse Komponente hat.
10.01.13   Ein Text über Bassem Youssef und Sandmonkey (LINK), der ihre Bedeutung im Muslimbrüder-Ägypten erklärt.

Man muss sich das tropfende Geräusch des Regens zu diesem Bild dazudenken, um zu ermessen wie ich mich fühle, wenn ich meine Wohnung verlasse, um etwas einzukaufen.

Der Eingang zu einem Baumarkt kommt mir da vor wie der Eingang zum Paradies.
11.01.13  


Fidicinstraße am Morgen beim Brötchenkaufen. Danach viele Telefonate und Emails, um meine Kosten in diesem Jahr zu reduzieren.

Die Galeries Lafayette. Da war ich nur einmal in meinem Leben. Damals gab's noch keinen Eiffelturm in der Mitte.

12.01.13   Ekkehard Knörer hat mich gebeten, für "CARGO" einen Text über "After the Battle" von Yousry Nasrallah zu schreiben. Das wird mir nicht leicht fallen, denn "politisch korrekte" Filme haben mir noch nie gefallen.


13.01.13   Heute bin ich mit dem reparierten Fahrrad 10 km auf dem Flughafengelände gefahren. Es fährt sich gut, nur mein Popo hat nach einer Weile wehgetan. Außerdem war es arschkalt. Aber um einigermaßend fit zu bleiben, für vielleicht noch ein paar Filme, bin ich bereit durch Feuer und Eis zu gehen.



Im Flughafengebäude findet mal wieder die Modemesse "Bread & Butter" statt.

Die Neubauten in der Schwiebusser Straße sind fast fertig

An der Straßenecke wird also bald ein kleines Café aufmachen. Ich begrüße das.
14.01.13  
Meine Tochter Joya hat gestern ihren 23. Geburtstag gefeiert. Ihr neuer Film "Love, Yesterday" scheint, nach Allem was sie mir erzählt, richtig gut geworden zu sein. Darüber freue ich mich.

Mein Ägypten-Projekt scheint wohl auf längere Zeit unrealisierbar zu sein. Das dazu passende T-Shirt habe ich umsonst gekauft.

Sandmonkey hat beim Gericht in Kairo eine Klage gegen den Ptäsidenten Mursy eingereicht. Er wirft ihm darin vor, dass es eines ägyptischen Präsidenten unwürdig sei, bei einem Staatsbesuch "sich an den Eiern zu kratzen und im übrigen eine Sprache zu haben, deren Wortwahl und Holprigkeit an die Versuche eines Affen erinnerten, wie ein Mensch zu sprechen. Auf seiner Facebook-Seite hat er die Klage (LINK) veröffentlicht.

15.01.13   Unter diesem Link kann man sich einen pdf-file (das ist völlig ungefährlich) eines Artikels im NewYorker-Magazin über die Situation in Ägypten herunterladen, den man sonst nur als Abonnent (paywall) mit dem Titel "Big Brothers" (LINK) lesen kann. Der Autor selbst hat ihn zum Download ins Internet gestellt. Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre war ich oft in New York und habe mit Begeisterung die New York Times gelesen. Wegen ihrer präzis recherchierten Berichte. Voller Details. Der NewYorker-Text ist genau so. Für mich jedenfalls eine Freude ihn zu lesen. In deutschen Zeitungen und Magazinen gibt es das nicht. Unsere Zeitungs-Kultur ist leider anders.

Aus der Jahresbestenliste der Kritiker von epdFilm - "INS BLAUE".

Bei meiner Zahnärztin im Wedding ist mir ein Missgeschick passiert. Ich habe ein Zahnteil verschluckt und bin danach deprimiert. Das Foto gibt meine Stimmung wieder.
17.01.13  

Heute in der Neuen Züricher Zeitung (LINK) gelesen "Altern ist tragisch". Nach meinem Zahnarztbesuch vor zwei Tagen trifft mich dieser Text ganz besonders.

Die DVD's meiner beiden bisher letzten Filme "DAS ROTE ZIMMER" und "INS BLAUE". Daneben eine Flasche Primitivo aus Apulien, wo "INS BLAUE" gedreht wurde.

18.01.13  
Meine Zähne sind wieder heil, und ich fühle mich endlich nicht mehr deprimiert. Auf dem Nachhauseweg von meiner Zahnärztin, mache ich einen Zwischenstopp am Bahnhof Zoo.


Auf dem Tahrirplatz in Kairo demonstrieren die Ultras für Gerechtigkeit. Ein Vorgeschmack auf den 25. Januar.

Ein interessanter, allerdings langer Artikel (LINK) über die Muslimbrüder und Mursi. Da steht am Ende: "Morsi and his Kandeel government seem to resemble cult movements like Heaven’s Gate religious sect founded by Marshall Applewhite and Bonnie Nettles. In 1997, Applewhite promised his followers salvation and heaven by boarding an alien ship that will take them to heaven and the only way to board is by committing suicide to catch up with the ship that is close to the earth orbit.. Over 39 members of the cult committed suicide in the biggest mass suicide act in USA History. Evidently, Morsi and Kandeel are leading the country in the same pattern promising salvation and heaven but actually driving the country to a mass suicide economically and socially. Their vision to revive the Egyptian Economy or lack of it will eventually lead Egypt to an inevitable bankruptcy like the Argentinian  bankruptcy disaster of 2001."
19.01.13   Ich stürze mich in Unkosten und kaufe heute neugierig für 2,30 Euro die FAZ, denn da ist ein Interview mit Mursi abgedruckt. Als Vorbereitung für seinen Berlin-Besuch - nehme ich an. Mursi redet wie ein Wolf, der Kreide gefressen hat. Alle heikleren Fragen umschifft er mit schönen Worten. Ganz offensichtlich hatten die beiden FAZ-Reporter nicht das Recht nachzuhaken. Am interessantesten ist noch der zaghaft formulierte separate Text auf der gleichen Seite "In Mursis Palasr: Der Präsident und das Protokoll". Da steht, daß die beiden eine Weile warten mussten, dass der Präsident arabisch gesprochen habe und dass das ganze Gespräch von einem Kamerateam des Präsidialamtes gefilmt wurde. Vermutlich war auch abgesprochen, dass die FAZ keinen kritischen Kommentar zum Interview veröffentlichen durfte.
Mursis Interview mit dem TIME-Magazin (LINK) im letzten November war da schon sehr viel reizvoller zu lesen.
Dieser Artikel auf Ahram Online (LINK) macht deutlich, dass das FAZ-Interview als eine reine PR-Aktion zu verstehen ist.
"What Every American Should Know about Egypt’s Muslim Brotherhood" beschreibt detailliert (LINK), wie man ein Mitglied der Bruderschaft wird, und wie diese funktioniert. Wer das gelesen hat, sieht klar, dass alles was Mursi im FAZ-Interview sagt, total gelogen ist.
Die FAZ macht mich verrückt. Gegen Mittag gab es den Link zum Mursi-Interview, dann wieder nicht mehr. Dieser Link funktioniert aber immer noch. MURSI-Interview!
20.01.13  
Bei minus 5 Grad fahren meine Freundin und ich ca. 10 km auf dem Tempelhofer Flugplatz. Fahrradfahren als Wintersport.

Die Kleingärten auf dem Flugfeld.
21.01.13  
In dieser Markthalle hat Hanns Zischler in "BERLIN CHAMISSOPLATZ" für ein Frühstück mit Sabine Bach eingekauft. Das ist jetzt über 30 Jahre her. Die Markthalle sah damals ganz anders aus.
22.01.13  

Am 24.01.13 zwischen 18:30 - 19:25 wird „INS BLAUE“ als DVD-Tipp in der Sendung ZIBB im rbb zu sehen sein. Ich bin da leider in Saarbrücken beim Max Ophüls-Festival und zeige genau um diese Zeit den Film und im Anschluss daran das zehnminütige Interview mit Vadim Glowns von Nicoletta Drossa und Patricia Lewandowska von einer Blu Ray.

23.01.13   Auf dem Sundance Filmfestival ist am Sonntag "The Square" von Jehane Noujaim gelaufen und bekam Standing Ovations. Hier ein Link zu einem Blog, auf dem ein Trailer des Festivals zu sehen ist.
In Ägypten selbst vermehren sich Zusammenstöße zwischen Polizei und Gegnern der Muslimbrüder. Vorbereitungen auf den 25. Januar, dem zweiten Jahrestag der Revolution. Die Polizei hat vom Militär vier Hubschrauber ausgeliehen, neue Barrikaden aufgebaut und die Anti-Riot-Police mit neuen Uniformen ausgestattet, die so schwer sind, dass die Polizisten damit kaum gehen können. Manche Gegner der Muslimbrüder beten, dass das Militär eingreift und den ganzen Muslimbrüder-Zauber (LINK) beendet.
24.01.13  
In Saarbrücken. Es hat eineinhalb Stunden gedauert, bis das Zimmergemacht war.

Aber das Hotel hat einen Zen-Garten…

…und ein ungewöhnliches Bett. Aber keinen Schreibtisch, keinen Schrank, keine Ablage.

Der zentrale Platz von Saarbrücken, St. Johanner Markt.

Auf dem Weg dahin. Kunst.

Das Kino, in dem "INS BLAUE" laufen wird.
26.01.13   Die Vorführung von "INS BLAUE" war eine technische Katastrophe: der Ton war fast nicht zu verstehen, das Bild weich und zu dunkel und das Bildformat stimmte auch nicht (halb abgeschnittene Köpfe). Der Vorführer kämpfte am Ende des Films ca. 10 Minuten damit, die Blu Ray mit dem Interview mit Vadim Glowna abzuspielen - bis fast alle Zuschauer gegangen waren. Doch dann geschah ein technisches Wunder: das Bild beim Interview war gestochen scharf und hell und der Ton kristallklar.
Ich sehe ganz deutlich, die Zeit des 35mm-Films ist vorbei. In allernächster Zeit wird es nur noch wenige Kinos geben, die in der Lage sind, analoge Filmkopien vorzuführen. Und die Investition in das DCP-Format ist für kleine Filme auch rausgeschmissenes Geld. Blu Ray ist genausogut.
Am nächsten Morgen hatte ich mich einigermaßend erholt und bin mit meiner Freundin am Saarufer spazieren gegangen.

Auf der anderen Seite ist zwar direkt am Ufer eine Autobahn…

…aber hinter einer Brücke finden wir an einer Mauer tolle Grafitti.





Hinter dem Marktplatz gibt es edel gestaltete Läden. Und gleich nebenan das älteste Gasthaus von Saarbrücken "Zum Stiefel". Dort essen wir…

…"Gefilldes" und…

…Hoorisches. Allein dafür lohnt es sich zum Max Ophüls-Festival zu fahren.
Heute: Vor dem Abflug nach Berlin, erfahre ich über Twitter, dass während der Demonstrationen in Ägypten 10 Menschen getötet wurden, und dass Präsident Mursi über Twitter den Angehörigen sein Beileid ausgesprochen hat. Nachts um halb zwei! Und über Twitter!

Es könnte ein schöner Tag werden.

Kurz vor der Landung in Berlin-Tegel.
Im Laufe des Tages kommen aus Ägypten immer schrecklichere Nachrichten. Ein Gericht hat am Morgen 21 Anhänger der Ultras von Port Said zum Tode verurteilt. Über die Verantwortlichen des Massakers von vor einem Jahr soll später geurteilt werden. Daraufhin bricht in Port Said beim Versuch der Angehörigen, das Gefängnis zu stürmen, Chaos aus: Bis jetzt 27 Tote und über 250 Verletzte. Und nahezu stündlich werden es mehr. Und Präsident Mursi schweigt. Die Opposition macht eine Pressekonferenz und stellt dabei Forderungen, über die die Muslimbrüder nur lachen werden. Wird Mursi es wirklich wagen, nächste Woche nach Berlin zu kommen und um Geld für seine Nation zu betteln?
27.01.13   Das Chaos in Ägypten setzt sich fort wie eine unheilbare Krankheit. Beim Trauergottesdienst für die - inzwischen - 36 Toten in Port Said und dem Trauerzug durch die Stadt zum Friedhof wird dieser mit Tränengas beschossen. Ein Polizeigebäude in Port Said brennt. Das inzwischen dort eingesetzte Militär kann nichts daran ändern. Über der Stadt kreist ein Militärhubschrauber. In Kairo gehen die Proteste auf mehreren Straßen weiter. Die Polizei schießt (amerikanische) Tränengaspatronen auf den Tahrirplatz, obwohl da fast keine Demonstranten sind. Aus Gewohnheit? Straßen werden gesperrt. Im Shura Council, dem Oberhaus des Parlaments, fordert ein Islamist (!) die Ablösung der Regierung. Der nationale Sicherheitsrat hat gestern zum ersten Mal unter Vorsitz von Präsident Mursi getagt und überlegt, ob man nicht den nationalen Notstand ausrufen soll. Das würde Ausgehverbote, so wie unter Präsident Mubarak, bedeuten. Der Innenminister, Chef der Polizei, wird bei einem Trauergottesdienst für einen getöteten Polizisten, von seinen eigenen Offizieren aus einer Moschee gejagt. Und zu allem schweigt weiter Präsident Mursi, der in der kommenden Woche nach Deutschland kommen will. Im neuen Spiegel kann man lesen, dass Spiegelreporter mit ihm zu einem verabredeten Interviewtermin erschienen sind, aber wieder nach Hause geschickt wurden. Stattdessen haben sie im Cafè Riche in Kairo mit einem ehemaligen Mitarbeiter der Muslimbrüder gesprochen, der Angst hat erschossen zu werden. Der sagt "Die Brüder werden ihre Macht niemals friedlich abgeben… sie werden alle Bereiche unserer Gesellschaft unterwandern: die Ämter und Ministerien, die Schulen und Universitäten, aber auch die Polizei und das Militär. Sie werden ihre Feinde ausschalten."
28.01.13  

Karlheinz Oplustil mailt mir einen Link zur DVD-Bestsellerliste von Zweitausendeins. Da steht "DAS ROTE ZIMMER" (LINK) auf Platz 1, "INS BLAUE" (LINK) - mit einer ungewöhnlich intelligenten Besprechung von Marek Bringezu - auf Platz 3 und sogar noch "TIGERSTREIFENBABY" (LINK) auf Platz 10.
In Ägypten hat Präsident Mursi am Abend eine Rede gehalten. Er hat seinem Volk, wie ein Schullehrer, mit erhobenem Zeigefinger gedroht, endlich Ruhe zu geben. Er hat über die drei Städte am Suezkanal (Port Said, Suez und Ismailia) den Ausnahmezustand verhängt und das Militär bevollmächtigt, Menschen zu verhaften. Vorher haben zwei amerikanische Anti-Terror-Militärspezialisten, die für 5 Stunden nach Kairo kamen, mit ihm und Khairat El-Shater (dem eigentlich starken Mann der Muslimbrüder, der aber keinerlei Regierungsfunktion hat) gesprochen. Über dieses Gespräch berichtet keine einzige ägyptische Zeitung, nur auf OnTV, einem privaten Satellitenkanal, wurde heute Morgen darüber berichtet. Wenn die USA Mursi und seine Muslimbrüder fallen lassen, bricht die ägyptische Regierung zusammen. Doch das kann noch lange dauern, und vorher wird noch viel mehr Blut fließen, denn die Ägypter lassen sich nicht mehr einschüchtern. Schon gar nicht durch das von den Sicherheitskräften nahezu ununterbrochene Abschießen von Tränengaspatronen.

Heute Morgen in Kairo. Tränengas.
Die Proteste gegen Mursi und seine Muslimbrüder werden immer stärker. In Kairo, Port Said und jetzt auch in Alexandria. Die Polizei schießt weiter mit Tränengaspatronen. Ärzte in einem Feldhospital am Tahrirplatz wollen entdeckt haben, dass das Tränengas inzwischen Insektenspray enthält und Mursi sein revoltierendes Volk mit Insekten gleichsetzt. Er hält in seinem Palast einen "nationalen Dialog" (weil das die Amerikaner fordern), aber die Opposition hat abgesagt. Er wird also mehr oder weniger mit sich selbst sprechen.
Auf "The Arabist" (LINK) gibt es eine sehr sachliche Analyse möglicher Entwicklungen in Ägypten.
Ein Tweet aus Kairo:" Morsi is arriving in Berlin on Wed. German activists, plz give him warm welcome :)"

29.01.13   Morgen wird der ägyptische Präsident Mursi von Angela Merkel empfangen und am Donnerstag von Joachim Gauck. Mursi übernachtet im Hotel Adlon. Martin Gehlen im Tagesspiegel spricht von "Krawallen" in Kairo und nennt die Revolutionäre "Krawallmacher".

So sah der "nationale Dialog" aus. Dank an AhramOnline, die das von der Facebookseite des Präsidialamts haben. Einer twittert: "This pic looks like they're sitting around a massive wedding cake."
Das Ergebnis des "nationalen Dialogs" von gestern Abend:
"1 - formation of 10 person committee (5 of them legal experts) to look into amending constitution - 4 of the 10 to be nominated by "National Salvation Front"
2 - Presidency (Morsi) agrees to provide any/all guarantees necessary to ensure upcoming parliamentary elex are free and fair (including international observers)
3 - Formation of committees to look into solutions/alternative policy on Economy - Social justice - security. All committees to have "National Salvation Front" nominees.
4 - Continue dialogue with another round within week, and continue to encourage "National Salvation Front" to attend."
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ElBaradei, Amr Mussa und Sabahi von der National Salvation Front sich auf dies Angebot einlassen. Es klingt wie eine Mausefalle!
Spiegel-Online veröffentlicht eine Warnung des Militärschefs (LINK) El-Sisi vor einem Zusammebruch des Staats. Ein Tweet wird noch etwas deutlicher: "#Egypt's army won't stand by idle as the state "falls." El Sisi's remarks are a clear warning to politicians: Get it together or we step in."
Am Abend ein Tweet: "Morsi's visit to France on Friday cancelled and he'll only spend "a few hours" in Germany tomorrow to meet Angela Merkel."
30.01.13   Heute Kundgebung gegen Präsident Mursi (LINK) von 9 - 12 Uhr vor dem Kanzleramt. Der Termin, den Mursi für seinen Besuch in Berlin gewählt hat, ist jedenfalls denkbar unglücklich. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler in Berlin Reichskanzler. Ein Twitterer aus Kairo schreibt ironisch: Vielleicht will Mursi in Deutschland auch den Geburtsort von Hitler besuchen.
Das amerikanische Magazin "The Atlantic" (LINK) fragt in einer Schlagzeile "Will Germany Confront Morsi's Holocaust Denial?"
Auf Spiegel Online ein offener Brief (LINK) an Mursi und Angela Merkel von Hamed Abdel-Samad.
Die Demo vor dem Kanzleramt wurde um mehrere Stunden verschoben. Es regnet. Am Anfang waren meine Freundin und ich ganz allein. Ich hatte Gelegenheit, mit vielen Polizeibeamten zu sprechen.



Das Kanzleramt um 9.15 noch ganz nah.

Viele Beamten der Bereitschaftspolizei. Ich wusste nicht, dass die alle Nummern tragen müssen. Ich habe eine Polizistin gefragt, was sie machen, wenn nichts passiert. Sie hat gesagt, dass immer irgendwas los ist und ansonsten fahren sie Streife.

Diese beiden Ägypter waren die ersten Demonstranten.

Zwei Nofretetes von Amnesty International waren die Stars der Demo.

Der Chefpolizist klärt mit dem Sprecher von Amnesty, dem Veranstalter, ganz genau, was erlaubt ist. Beleidigungen des Staatsgasts sind es nicht. Ich lerne, eine Demo ist eine "Veranstaltung" und der Raum, in dem die Veranstalter auftreten, ist genau festgelegt und wird durch sichtbare Absperrungen vom normalen Leben abgegrenzt.

Ganz im Hintergrund hängen vor dem Kanzleramt 3 Flaggen: links die europäische, in der Mitte die ägyptische und rechts die deutsche Flagge.

Jetzt sind noch mehr Demonstranten dazugekommen. Profis.

Auch meine Freundin hat demonstriert.

Jetzt ist Amnesty International ziemlich komplett. Ich kann leider keine Fotos mehr machen, weil meine Speicherkarte voll ist.
31.01.13  
Nach der Demo. Im Literaturcafé.

In der Körberstiftung stellt der Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo ein paar Fragen.

Auch hier benutzt Mursi wieder beim Sprechen seinen Zeigefinger. In Ägypten machen sie darüber Witze.
   

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